Affektive Polarisierung äussert sich in der Tendenz, dass wir uns in Gruppen Gleichgesinnter zurückziehen. Zu einem gewissen Grad machen wir das alle. So nachvollziehbar diese Dynamik des Rückzugs ins Vertraute ist, so schädlich ist sie für eine demokratische Gesellschaft, da sie oft mit der Ablehnung Andersdenkender einhergeht. Denn je weniger wir uns mit den «Anderen» auseinandersetzen, umso höher ist das Risiko, dass wir uns einfache Feindbilder zurechtlegen, andere Menschen als Feinde betrachten, ihre Weltsichten missverstehen, und ihre Wünsche als illegitim betrachten (vgl. u.A.
Haidt, 2016).
Mit steigender affektiver Polarisierung droht die gesellschaftliche Debatte zu einem Kampf verfeindeter Lager zu verkommen, wie dies in den Vereinigten Staaten der Fall ist. Ein Lagerkampf mit toxischer Streitkultur, in der Angst, Wut, Ablehnung, Ekel und Misstrauen dominieren und in der viele Menschen stark davon angetrieben sind, der jeweils anderen Seite Schaden zuzufügen (
vgl. Ripley, 2021;
Coleman, 2021;
Klein, 2020).
Je stärker Gruppenidentitäten unsere politischen Entscheide bestimmen, umso schwieriger wird es, trotz unterschiedlicher Ansichten tragfähige Kompromisse zu finden. Starke affektive Polarisierung ist für alle Demokratien Gift. Für die schweizerische Konkordanzdemokratie, die nur handlungsfähig ist, wenn sich die wichtigen Akteure zusammenraufen können, ist sie besonders gefährlich.