Demokratien drohen nicht nur innenpolitischen Gefahren zum Opfer zu fallen. Auch international sind sie seit Jahrzehnten unter Druck. Autokraten bekämpfen die Freiheit, wo sie nur können. Denn funktionsfähige Demokratien und offene Gesellschaften sind für sie eine Gefahr. Individuelle Freiheiten und das Recht auf Mitbestimmung bedrohen ihre Macht. Die Visibilität von demokratischer Kultur und Praxis zeigt Menschen unter autoritärer Herrschaft weltweit, dass es Alternativen gibt – gerade im Zeitalter von Social Media. Autokraten haben deshalb ein handfestes Interesse daran, freie Staaten zu destabilisieren, Zwietracht zu sähen und demokratische Kulturen zu sabotieren.
Auch in der Schweiz ist die Demokratie fragiler als viele denken. Die zunehmende Polarisierung droht unüberbrückbare Gräben zu schaffen und so die Kompromiss-Kultur der Schweiz unterlaufen. Hierzulande hegen im internationalen Vergleich besonders viele Menschen
negative Gefühle gegenüber Menschen mit anderen Ansichten. Für eine konsensorientierte Demokratie ist diese Form der sogenannten affektiven Polarisierung fatal: sie hält uns davon ab, miteinander zu sprechen und führt dazu, dass unsere Gruppenzugehörigkeiten anstelle von sachpolitischen Überlegungen entscheiden, wie wir abstimmen und wen wir wählen. Je stärker wir polarisiert sind, desto schwieriger wird es, konstruktive Lösungen zu komplexen Herausforderungen zu finden.
In den letzten 20 Jahren hat die Fähigkeit der Schweiz, gemeinsam anzupacken, stark abgenommen. Das zeigt eine Untersuchung der Forschungsstelle gfs.bern. Wir überlassen wichtige Grossbaustellen sich selbst und haben es kaum geschafft, grundlegende Weichen für unsere Beziehungen zur EU, für die Klimapolitik oder die Weiterentwicklung der Sozial- und Altersvorsorge zu stellen. Breite Kompromisse finden weniger Mehrheiten als früher. Wir sind kaum noch in der Lage, gemeinsam in langfristige Vorhaben zu investieren und Kompromisse zu finden. Erst wenn die Alarmglocken läuten und der Schaden nicht mehr zu leugnen ist, gehen wir in einen Krisenmodus über, in dem wir nur noch reagieren können. Diese «Notfall-Demokratie» hat einen grossen Preis: Es fehlt mehr und mehr die Zeit, gemeinsam und in Ruhe abzuwägen, wie wir bevorstehenden Krisen entgegentreten möchten.
Im Zeitalter der Krisen dürfen wir uns nicht der Illusion hingeben, unser demokratisches System und die Kultur, die dem zugrunde liegt, seien naturgegeben. Der «Notfallsmodus» und die Polarisierung nagen an den Grundfesten unseres Systems. Wie können wir aus dieser Situation ausbrechen?